Ein Landkreis macht Schule: Auf Tour um den Kyffhäuser
Der Kyffhäuserkreis begegnet dem demografischen Wandel mit neuen Initiativen.
Projekte für Bildung, Fremdenverkehr und lebenswerte Stadtquartiere sorgen für Optimismus.
„Hier ist ja nichts los“ – dieses Image prägt den dünnbesiedelten Landkreis im Norden Thüringens. Mit welcher Ideenvielfalt die strukturschwache Region den aktuellen Herausforderungen hingegen begegnet, davon konnten sich Dr. Marta Doehler-Behzadi und ihr Team bei ihrem Besuch am 17. Juni überzeugen.
Im Norden Thüringens bündeln sich wie in einem Brennglas die Probleme, aber auch Potentiale des gesamten Freistaats. Einerseits bestimmen Lethargie und Überalterung das Bild. Zum anderen ist der Kyffhäuserkreis reich an touristischen Attraktionen.
„Die politische und gesellschaftliche Akzeptanz der schrumpfenden Bevölkerungszahl und der Alterung ist ein schwieriges Feld“, umschrieb Dr. Räuber vom Landratsamt in Artern gleich zum Auftakt der Rundreise die Lage. Stadt und Land entwickelten sich gegenläufig. Um die Dörfer wieder enger an die Städte anzubinden und attraktiver zu machen, will man nun strukturell gegensteuern, etwa beim öffentlichen Personennahverkehr. Ein weiterer Schlüssel liegt in der Bereitschaft zu neuen Kooperationen, wie z.B. bei der Planung von Schulen und Kitas.
"Bildung war das dominante Thema bei unserer Tour durch den Kreis", hob auch IBA Geschäftsführerin Doehler-Behzadi auf der abschließenden Pressekonferenz hervor.
In Artern besichtigte ihr Team gleich zwei Vorhaben mit diesem Fokus: Zum einen die in Plattenbauweise errichtete Kita „Bummi“, die nach dem beispielhaften Umbau heutigen pädagogischen und räumlichen Anforderungen entspricht. Zum anderen besuchte man die sanierungsbedürftige Förderschule, die durch einen behindertengerechten Umbau zu einem barrierefreien Förderzentrum erweitert werden soll. Die stadtplanerischen Chancen liegen in der Aufwertung des gesamten Quartiers, erläuterte Architektin Birgit Reinshaus.
Weiter ging es nach Bad Frankenhausen, wo das Wahrzeichen der Kurstadt besichtigt wurde, der Oberkirchturm. Dem ‚schiefen Turm’ von Bad Frankenhausen droht zum Jahresende der Abriss. Derzeit neigt sich die Turmspitze um 4,6 Meter aus dem Lot. Bürgermeister Matthias Strejc stellte das 1,1 Mio. teure Sicherungskonzept vor, mit dem es gelingen soll, den Turm dauerhaft zu stabilisieren und zu retten.
Anschließend besuchte das IBA Team den unweit der Kyffhäusertherme gelegenen Kurpark, der derzeit erweitert und umgestaltet wird. Herzstück des geplanten, rund 50 ha großen Kurareals wird das ‚Solewasser-Vitalbad’ sein. Dieses soll 2015 mit einer biologischen Wasseraufbereitungsanlage in Betrieb gehen. Nach Abschluss der Arbeiten wird sich der Park bis zum Bad Frankenhausener Hausmannsturm erstrecken.
Letzte Etappe auf dieser IBA on tour war die Kreisstadt Sondershausen. Dort ließ sich das IBA Team von Bürgermeister Joachim Kreyer Projektüberlegungen für den ‚Franzberg’ präsentieren, ein bahnhofsnahes Wohnviertel. In dem sanierungsbedürftigen Gebiet mit charakteristischen Wohnhäusern aus den 1930er Jahren soll attraktiver Wohnraum für Familien entstehen − durch Modernisierung oder Neubau. Das Viertel, zu dem auch eine Schule in desolatem baulichen Zustand gehört, soll sich durch prozesshafte Planung zu einem städtischen „Quartier der Zukunft“ entwickeln.
In der Cruciskirche in Sondershausen, der abschließenden Station dieser IBA on tour, stand mit dem Kyffhäuserdenkmal ein zentrales Wahrzeichen des Landkreises auf dem Programm: Das Denkmal wurde in den letzten Jahren aufwändig saniert, doch trotz der Bekanntheit fehlt bislang ein schlüssiges Konzept für die museale Vermittlung der komplexen Geschichte des Ortes. Zusammen mit dem Studiengang MediaArchitecture an der Bauhaus-Universität Weimar entstanden erste Ansätze, um den Kyffhäuser mit Hilfe neuster Medien zu einem zukunftsfähigen Ort des Erfahrens und Lernens zu gestalten.
Die sanierte Cruciskirche selbst und ihre Revitalisierung waren ebenfalls Thema der Tour. Bereits 2001 wurde eine Initiative gestartet, um die baufällige Kirche wieder in das städtische Leben zu integrieren. Bei der Realisierung des ‚Bürgerzentrums Cruciskirche’ haben die Vereinsmitglieder erhebliche Eigenleistungen als anrechenbaren Eigenanteil in den Förderprogrammen erbracht. Kurz vor Abschluss des Umbaus zeigen sich positive Effekte für das Wohngebiet am Wippertor und die angrenzende Altstadt.
Die zentralen Fragen des Tages wurden abschließend auf einer Podiumsdiskussion in der Cruciskirche diskutiert. Dr. Marta Doehler-Behzadi zeigte sich im Hinblick auf den demografischen Wandel beeindruckt von der Offenheit und Ehrlichkeit beim Austausch mit den örtlichen Akteuren im Kyffhäuserkreis. Und Landrätin Antje Hochwind zog trotz der noch zu bewältigenden Herausforderungen eine optimistische Zwischenbilanz: „Wir haben hier im Landkreis viel Zeit gebraucht, um den demografischen Wandel wahrzunehmen. Ich habe den Eindruck, dass er mittlerweile tatsächlich die Menschen erreicht hat.“
Im diesem Zusammenhang verwies die IBA Geschäftsführerin auf das künftige Gesicht der städtischen Quartiere: „Ich glaube schon, dass sich die IBA in Thüringen überwiegend im Bestand abspielt – aber nicht nur, da sich Städte trotz Bevölkerungsrückgang auch erneuern müssen.“