Bedheim, Sch(l)afstall
Land Bau Kunst
Gute Architektur kommt aus der Stadt und findet man in der Stadt: Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn Baukultur vorrangig im urbanen Raum gesucht wird. Doch herausragende Architektur gibt es auch im ländlichen Raum. Immer öfter wandert der Blick der Fachwelt dorthin. Einfachheit, Ressourcenbewusstsein und Landschaftsbezüge sind die Maxime einer neuen Generation von Gestalter:innen, die Baukultur auf dem Land konsequent zeitgenössisch fortschreiben.
Ein Paradebeispiel dieser neuen Avantgarde auf dem Land entdeckt man ganz im Süden Thüringens, in Bedheim.
Neben der Denkmalpflege sind die Kernthemen der Gruppe aus Architekt:innen, Künstler:innen und Handwerker:innen solidarische und soziale Landwirtschaft, Mietwohnungsbau auf dem Land und akademische Rückkopplung. Hand und Kopf sollen hier am Standort zusammenkommen.
Eines der Vorhaben des Studios Gründer Kirfel, die Neue Remise für Schloss Bedheim, wurde 2017 ein IBA Projekt. Das in Holzbautradition gemeinsam mit Studierenden und Handwerker:innen weitgehend im Selbstbau geschaffene Wirtschaftsgebäude, von der IBA ›Sch(l)afstall‹ getauft, setzt diese Tradition auf dem Land fort. Denn trotz der waldreichen Umgebung dieser ländlichen Räume hat der Holzbau bislang keinen guten Ruf, unter anderem wegen der Angst vor Bauschäden durch Feuchte und Schwamm. So gehen die sinnliche Wahrnehmung und das Wissen über das Material sowie das Handwerk mehr und mehr verloren. Studio Gründer Kirfel schaffte mit dem Projekt eine kompromisslose Architektur, die die Möglichkeiten eines nachhaltigen, gestalterisch aufregenden Selbstbaus aufzeigt. Ein Platz auf der Shortlist des angesehenen Preises des Deutschen Architekturmuseums (DAM) würdigt dies. Eine erfolgreiche Filmdokumentation erklärt die Besonderheiten des Projekts und motiviert Folgeprojekte zum qualitätsvollen Bauen mit regionalen Baustoffen im ländlichen Raum.
Studio Gründer Kirfel stärkt mit den in Kooperation mit der IBA durchgeführten Bedheimer Kamingesprächen außerdem die Debatte über Baukultur auf dem Land. Daraus entstand 2015 unter anderem die Bedheimer Erklärung. Die darin formulierten Qualitätskriterien für Baukultur im ländlichen Raum richteten sich sowohl an die Fachwelt als auch an die Öffentlichkeit. Mit ihren Lehraufträgen, Promotionen und regelmäßigen Bauwerkstätten stärkt Studio Gründer Kirfel den Austausch zwischen Stadt und Land. Mit dem Baustart 2017 erprobten sie schließlich selbst die Maximen ihrer Baukultur: Der 7,5 mal 24 Meter große Sch(l)afstall wurde auf dem Natursteinfundament der alten Scheune der Schlossanlage errichtet. Der Holzrohbau wurde dank der Hilfe wandernder Zimmerer nach nur vier Wochen fertig. Fachbetriebe wurden gerufen, wenn es an speziellem Wissen fehlte. Die Studierenden der Bauwerkstatt 2017 halfen unter der Anleitung von Studio Gründer Kirfel und ihren Partner:innen mit. So wurde dem Architekturnachwuchs vermittelt, was nach dem an den Hochschulen geübten Entwerfen und Planen folgt. Denn die tatsächliche, praktische Umsetzung von Entwürfen ist ein in der Ausbildung oft viel zu sehr vernachlässigter Ansatz. Auch der Austausch mit Baugewerken kommt oft zu kurz.
Beim Bau wurde weitgehend auf industrielle Bauelemente verzichtet, auch die Fenster wurden selbst angefertigt.
Das außen dunkle Haus überrascht im Inneren mit hellen Räumen. Im Erdgeschoss des Sch(l)afstalls befinden sich eine großzügige Küche, die als Aufenthalts- oder Ausstellungsraum genutzt werden kann, sowie die sanitäre Anlage.
Ein Schlafsaal und ein Gästezimmer im Dachgeschoss bieten Raum für die zahlreichen Besucher:innen, die das Studio empfängt.
Schloss Bedheim ist ein programmatisch dichter Lebens- und Arbeitsraum für seine Bewohner:innen und Besucher:innen. Die Aktivitäten strahlen in das Dorf und weit darüber hinaus aus. Mit der hier praktisch erprobten regionalen Baukultur wird Studio Gründer Kirfel das ökologische, regionale und gestalterisch exzellente Selbstbauen weiterhin vermitteln. Weitere Projekte im Kontext des Ensembles sind in Planung.
Sch(l)afstall Schloss Bedheim im IBA Finale 2023
Urkunde zur Aufnahme in die IBA Abschlusspräsentation an Studio Gründer Kirfel übergeben
Die dritte Etappe der finalen IBA Tour führte den Fachbeirat und das Team der IBA Thüringen am 24. Februar 2023 nach Bedheim. Dort überreichte die IBA Geschäftsführerin Marta Doehler-Behzadi den Projektträger:innen Anika Gründer und Florian Kirfel-Rühle von Studio Gründer Kirfel die Urkunde zur Aufnahme in die IBA Abschlusspräsentation. Dieser symbolische Akt ist die finale Auszeichnung, welche ein Projekt im Rahmen der IBA Thüringen erreichen kann.
Bauwerkstatt in Bedheim
Text von IBA Projektträger Studio Gründer Kirfel:
»Wir brauchen Raum für das gebaute Experiment und gleichzeitig investieren Bauherren nicht in ergebnisoffene Bauprojekte. Um diesen Widerspruch zu unterlaufen, arbeiten wir an unserer Vision von einem Bauwende-Campus Schloss Bedheim. Als Architekten, Bauherren und Handwerkende widmen wir uns hier Themen zukünftigen Bauens gepaart mit den Möglichkeiten die sich eröffnen, baut man in eigener Verantwortung.
Der Workshop ›KALK Brennen‹ bildet in diesem Kontext einen Baustein. Ganz konkret ist er auch Vorübung für unser Mehrfamilienhaus in einer Bauweise mit möglichst wenig Zement. Akademisch angegliedert an den Lehrstuhl für Denkmalpflege und Baugeschichte von Prof. Hans-Rudolf Meier fand er mit Architekturstudierenden der Bauhaus Universität Weimar vom 19. bis 30. September 2022 statt.
Gemeinsam mit Peter Kummermehr, Architekt, Steinmetz und Betreiber eines Baureallabors in der Pfalz, mauerten wir einen Kalkofen, befüllten diesen mit Kalkstein, befeuerten ihn einen Tag und eine Nacht und löschten den gebrannten Kalk anschließend, um ihn mit mineralischen und pflanzlichen Zuschlägen zu diversen Mörteln zum Verputzen, Dämmen und zu anderen Baustoffen zu verarbeiten.
Das ist im Prinzip nichts Besonderes. Von der Bronzezeit bis in die 1960er-Jahre hatten viele Siedlungen eine Kalkgrube. Wie regional vorhandener Kalkstein zu brennen, zu löschen und zu verarbeiten war, gehörte zum kollektiven Wissen. Heute sind industriell hergestellte Werktrockenmörtel praktisch Standard und ebenso bequem wie problematisch. Außerhalb des industriellen Maßstabes findet Kalkbrennen als experimentelles Show-Brennen in der Erlebnis-Archäologie statt.
Jedoch sind wir überzeugt davon, dass in Bautechniken und Materialien, die heute häufig nur noch in der Denkmalpflege zum Einsatz kommen, ein enormes (re-)innovations-Potential im Hinblick auf eine unsere Lebensgrundlagen bewahrende Zukunft liegt.
Beim Brennprozess wird der Kalkstein auf über 898 °C erhitzt, um das natürliche Kohlendioxid (CO₂) aus dem Gestein zu treiben. So wird aus dem grauen Calciumcarbonat (CaCO3) weißes Calciumoxid (CaO). Der sogenannte Branntkalk, oder auch ungelöschter Kalk. Er ist wesentlich leichter als der unbehandelte Kalkstein. Kalkhydrat (Ca(OH)2), oder auch Löschkalk genannt, entsteht beim Löschen von Kalk mit Wasser, das dabei unter hoher Wärmeentwicklung heftig reagiert. Bei seiner Verwendung beispielsweise im Putz wird CO₂ aus der Luft wieder dauerhaft eingebunden. Man spricht hier vom chemischen Abbinden des Luftkalkes. Im Gegensatz zum hydraulischen Abbinden von Zement, bei dem praktisch kein CO₂ mehr gebunden wird.
Innerhalb des Workshops wurden sowohl das Bindemittel Kalk wie auch Lehm verarbeitet und ihre jeweiligen Eigenschaften, Energieinput sowie die damit verbundenen Emissionen waren für die Teilnehmenden unmittelbar vergleich- und erfahrbar. Das beim Brennen des Kalksteins ausgetriebene CO₂ ist als Massenverlust der Steine selbst auch sinnlich erfahrbar. Obwohl Kalkstein als Rohstoff in verhältnismäßig großer Menge zur Verfügung steht, wurde unmittelbar deutlich, dass auch Kalk als Bindemittel nur sehr gezielt entsprechend seiner spezifischen Begabungen, wie Witterungsbeständigkeit oder auch der Fähigkeit relativ große Mengen dämmender Zuschlagstoffe zu binden, eingesetzt werden sollte. Gerade die sinnhafte Kombination der beiden Materialien Lehm und Kalk wurde in der Füllung der Fachwerkgefache evident: Der Großteil des Volumens wurde mit Lehmgrünlingen gefüllt und der Witterungsschutz mit dem dreilagigen Kalkputz aus Vorspritzer, Putz und Tünche ›al fresco‹ ausgeführt.
Der Kalkkreislauf ist bei Verwendung einer regenerativen Energiequelle (Holz oder Windenergie) klimaneutral, der ausgetriebene Kohlenstoff wird beim Abbinden wieder eingelagert.
Kalkstein ist wie viele Natursteine eine immer noch reich vorhandene natürliche Ressource. Naturstein abzubauen bedeutet einerseits einen Eingriff in Ökosysteme, Wasserhaushalt und Landschaft, andererseits ist aber bis auf den Energieeinsatz durch Maschinen und Transport die Klimawirksamkeit gering.
Nach der Herstellung von Mörteln aus Branntkalk interessieren wir uns nun für die Möglichkeiten des Baumaterials Naturstein. Das nächste Ziel wären Bauteile, die normalerweise aus Beton gefertigt werden, direkt aus Naturstein zu errichten.«
Teilnehmende:
Antonia Stuhm, Maximiliane John, Louisa Büchs, Maren Kaczor, Jakob Schubert, Johanna Maria Rahm, Lando Daut, Robert Anton , Johanna Hemberger, Jolina Mix, Michael Gingele
Leitung:
Peter Kummermehr, Architekt, Kirchheimbolanden
Florian Kirfel, Architekt, Bedheim
Dr. Anika Gründer, Architektin, Bedheim
IBA Salon ›Schön hier. Architektur auf dem Land‹ in Bedheim
Die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen lud gemeinsam mit dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) und der Stiftung Baukultur Thüringen am 12. Mai zum IBA Salon nach Bedheim ein. Das dort ansässige Studio Gründer Kirfel führte schon mehrfach mit der IBA und internationalen Gästen Gespräche über Landbaukunst. Anlass des Salons war die Ausstellung ›Schön hier. Architektur auf dem Land‹ des DAM, die im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu Anspach zu sehen war. Die Ausstellung widmete sich mit ländlicher Baukultur einer viel zu wenig beachteten Aufgabe. Meist steht Architektur in den großen Städten im Mittelpunkt der Fachdiskurse. Gelungene Projekte auf dem Land sind oft zu klein und versteckt, um wahrgenommen zu werden. Doch es gibt sie, die guten Beispiele! Wo sie gelingen, zeugt ländliche Baukultur in Symbiose mit Freiräumen und Landschaft von einem bewussten Umgang mit regionalen Ressourcen – Themen, die das Bauen in Zukunft insgesamt viel stärker prägen werden.
Verena Konrad, Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts, hielt zum Salon die Keynote ›Was man vom Bauen auf dem Land lernen kann‹. In einer Gesprächsrunde kamen außerdem Susanne Wartzeck, Präsidentin Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, Anika Gründer, Architektin Studio Gründer Kirfel, Prof. Mario Tvrtkovic, Professor für Städtebau und Entwerfen an der Hochschule Coburg und Silvia Schellenberg Thaut, Architektin Atelier ST, in den Austausch.
Nominierung DAM Architekturpreis 2020
Seit 2007 werden mit dem DAM Preis für Architektur in Deutschland jährlich herausragende Bauten in Deutschland ausgezeichnet.
Für den DAM Preis für Architektur in Deutschland nominiert das Deutsche Architekturmuseum jährlich 100 bemerkenswerte Gebäude oder Ensembles. Eine Expertenjury trifft unter den Nominierungen dann die Auswahl zu den rund 20 Bauten der Shortlist. In einer intensiven Diskussion werden aus diesen Gebäuden der engeren Wahl schließlich drei bis vier Bauten für die Endrunde bestimmt.
Im Jahr 2020 wurde auch die Neue Remise von Schloss Bedheim für den Architekturpreis nominiert und von der Expertenjury für die Shortlist ausgewählt:
"Schloss Bedheim nimmt an der Internationalen Bauausstellung Thüringen teil. Eines der ersten realisierten Projekte der IBA Thüringen ist die Neue Remise im Wirtschaftshof der Schlossanlage. Mit dem Holzbau zeigen Architekten und Auftraggeber, wie mit einfachen Mitteln und zum großen Teil im Selbstbau architektonische Qualität im ländlichen Raum geschaffen werden kann.
Der lange Baukörper füllt eine wichtige Fehlstelle im Denkmalensemble. Das außen dunkle und zurückhaltende Haus überrascht im Inneren mit sehr hellen und eigenartigen Räumen. Beim Bau wurde weitgehend auf gekaufte Bauelemente verzichtet, auch die Fenster wurden selbst angefertigt. Das Projekt zeigt die Vorteile des Holzbaus und formuliert eine Gegenposition zum technisierten und hochautomatisierten Holzbau, wie er derzeit propagiert wird.
Die Nutzungen der Neuen Remise ähneln denen einer Berghütte ohne Berg. Neben einem Schlafsaal und einem Gästezimmer gibt es eine großzügige Küche, die auch gleichzeitig Aufenthalts- und teilweise sogar Ausstellungsraum ist. Sanitäre Anlagen und Lagerflächen für das nebenstehende Gartencafé ergänzen das Programm.
Damit übernimmt der Ende 2018 fertiggestellte Neubau an diesem komplexen Ort eine Schlüsselposition. Das Gebäude hat eine Hebelwirkung: Mit ihm geht nun vieles, was zuvor schwer vorstellbar war und das unkomplizierter, wärmer, ökonomischer und ökologischer."
3. Bedheimer Kamingespräch und Eröffnung Sch(l)afstall
Die Bewohner von Schloss Bedheim, Zimmerleute und mehrere DesignBuild-Studios bauten auf den Grundmauern eines früheren Schafstalls auf dem Schlossgelände zwei Jahre an einem Wirtschaftsgebäude. Auf ortsübliche Bauweise und mit regionalen Baustoffen entstand ein zurückhaltend moderner Sch(l)afstall. Am 5. Oktober wurde das zweigeschossige multifunktionale Gebäude und IBA Projekt eröffnet.
Danach sprachen beim 3. Bedheimer Kamingespräch zum Thema ›U-Turn, I-Turn, Stadtflucht - Initiativen für Kunst, Bauen und Anbauen auf dem Land‹ die internationalen Gäste Prof. Oussouby Sacko, Präsident der Kyoto Seika University, die Künstlerin Michiko Nakatani und der Architekt Yusuke Omuro über die japanische Bewegung aufs Land, Leerstand im ruralen Raum und ökologische Ernährung. Eine Japanreise der Bedheimer Schlossbewohner und ihre Suche nach Landpioneren inspirierte zum japanisch-deutschen Austausch. Außerdem sprach Prof. Harald Lemke, Direktor des ›Internationalen Forums Gastrosophie‹ über Eigenanbau und Essen in Japan und in Deutschland.
Schlossherr Florian Kirfel-Rühle eröffnet Schlafstall_Foto Thomas Müller
Ernennung zum IBA Projekt
Nach der erfolgreichen Qualifizierungsphase ernannte der IBA Fachbeirat den Sch(l)afstall Bedheim am 3. März 2017 zum IBA Projekt.
Selbstbau zwischen Baumarktcharme und architektonischem Meisterwerk
Das 2. Bedheimer Kamingespräch widmete sich dem Selbstbau im ländlichen Raum. „Am eigenen Haus zu bauen ist ein wesentlicher und nicht wegzudenkender Teil des Selbstverständnisses von Eigenheimbesitzern. Selber zu bauen ist nicht nur kostengünstiger, sondern für viele Bauherren auch befriedigend. Die Baumärkte sind samstags überfüllt, doch die zum Einsatz kommenden Baumethoden und -materialien sind nur in den wenigsten Fällen ökologisch und die Ergebnisse wenig qualitätsvoll.“, erläuterte Anika Gründer.
Anika Gründer begrüßt als Gastgeberin zum zweiten Bedheimer Kamingespräch. Foto: StudioGründerKirfel
Der holländische Architekt Erik van der Werf resümierte, dass Selbstbau von Nicht-Architekten leider keine innovative oder zukunftsweisende Bauten entstehen ließe. Eigenkreativität und Selbstdenken hätten wir verlernt. Foto: StudioGründerKirfel
Van Bo Le Mentzel, Erfinder der Hartz 4 Möbel, deren Bauanleitung auf der ganzen Welt kostenlos heruntergeladen werden können, plädierte gerade deswegen für eine selbstbauende Gesellschaft. Denn der Selbstbau führe zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie man tatsächlich wohnen und leben wolle und was man dazu brauche. Foto: StudioGründerKirfel
Wolfgang Zeh, Architekt und Selbstbauer auf einer 35 qm großen Baulücke in Köln, fasste Selbstbau folgenderweise zusammen: „Selbstbau braucht Zeit, Spaß am Bauen, Wille zum Lernen und richtiges Werkzeug“. Foto: StudioGründerKirfel
Olga Hungar von raumlabor Berlin stellte den Selbstbau als Instrument der Kommunikation, Integration und zur Belebung von öffentlichen Plätzen vor. Foto: StudioGründerKirfel
Nach einem Landspaziergang fand wie beim 1. Bedheimer Kamingespräch ein ausgedehntes Abendessen an einer langen Tafel im Kaminzimmer mit engagiert vorgetragenen Tischreden statt. „Schon mein Vater erkannte die Wichtigkeit der Verbindung von Hand und Hirn“, so Florian Kirfel-Rühle, Schlossbesitzer und Architekt. Auch die eigene Profession wurde kritisch hinterfragt – schließlich hätten die meisten Architekten vergessen, wie man baut. Wären die Handwerker nicht die viel besseren Berater von Selbstbauherren? „Nein“, meinte Herr Thomae, Zimmermannsmeister aus der Region, „die besten Berater wären ein Team aus Architekt und Handwerker“. Eine fingierte Presseerklärung von Judith Resch, Schreinermeisterin und Architektin aus Bayern, die die Abschaffung von Styrodyr ankündigt, fand abschließend großen Beifall.
Der Freude am Selbstbau und dem zweiten Bedheimer Kamingespräch widmet sich auch die Ausgabe #474 der BaunetzWoche. Das Magazin kann man hier als PDF herunterladen.
1. Bedheimer Kamingespräch
Am 23. und 24. Oktober 2015 trafen sich rund 30 Teilnehmer auf Schloss Bedheim zum ersten Bedheimer Kamingespräch. Unter dem Titel 'Land. Bau. Kunst – Architekturproduktion in und aus der Provinz' diskutierten Vertreter aus Architektur und Stadtplanung, wie qualitätsvolles Bauen auf dem Land in Zukunft gestaltet werden könne. Ziel war eine gemeinsame 'Bedheimer Erklärung', die Qualitätskriterien für Baukultur im ländlichen Raum formuliert und sich damit sowohl an die Fachwelt als auch an die Öffentlichkeit richtet.
Die Organisatoren Anika Gründer, Florian Kirfel-Rühle, Nikola Mayer und Erik van der Werf begründeten die Notwendigkeit für solche Qualitätskriterien so: „Gutes architektonisches Schaffen wird häufig als urbanes Phänomen angesehen. Fast unbemerkt entsteht herausragende Architektur aber auch an anderen Standorten weitab der Stadt. Vielleicht bildet sich architektonische Avantgarde gerade heute mit einer Konzentration auf das Wesentliche heraus, wie es die Bauaufgaben im ländlichen Raum nahelegen. Einfachheit, typologische Klarheit, Ressourcenbewusstsein und Landschaftsbezüge spiegeln sich in einer Ästhetik des Gebauten wider, die in Traditionen wurzelt, aber konsequent zeitgenössisch fortgeschrieben wird.“
Und IBA Geschäftsführerin Dr. Marta Doehler-Behzadi ergänzte: „Es gibt keinen Kodex mehr, was ‚gutes ländliches Bauen‘ sein soll. Das sieht man in der Fläche – und auch in Thüringen. Zeitgemäß interpretiertes, traditionelles Bauen auf dem Land könnte ein Beitrag zur Nachhaltigkeit sein und damit die Architekturproduktion generell bereichern.“
Das erste Bedheimer Kamingespräch resultierte auch in der Bedheimer Erklärung, welche ein Aufruf für qualitätsvolles Bauen auf dem Land ist. Hier ein paar Auszüge, die gesamte Erklärung gibt es auch als Download.
GUTE ARCHITEKTEN, ZIEHT AUFS LAND!
Kreatives, dem Weltgeschehen zugewandtes Arbeiten ist auch vom Dorf aus möglich. Das Leben auf dem Land ermöglicht Ruhe und Weitblick sowie Konzentration auf das Wesen der Dinge.
LANDARCHITEKTEN, SEID TEIL DES ÜBERREGIONALEN ARCHITEKTURGESCHEHENS!
Lasst uns miteinander vernetzen und eine aufgeschlossene ‚Land-Szene’ etablieren. Lasst uns den professionellen Austausch suchen. Lasst uns offen gegenüber neuen Themen, Architekturentwicklungen, Baumethoden und Materialien sein.
THÜRINGER, DÖRFER SIND KEINE SUBURBS UND IDENTITÄT IST EIN TEURES GUT!
Hütet den Reiz unserer Dörfer, sichert die Landschaftlichkeit unserer Landschaft. Schreibt die vorgefundenen Formen und Farben in die Jetztzeit fort. Schafft eine Baukultur, die für Thüringen steht.
Das erste Bedheimer Kamingespräch im Josephsaal von Schloss Bedheim.
Landspaziergang vom Schloss in die Umgebung.
Arbeitsessen mit thematischen Tischreden.
StadtLand Gespräch in Bedheim
Das erste IBA StadtLand Gespräch fand am 28. August 2015 auf Schloss Bedheim zum Thema 'Neue Lebensmodelle verwirklichen! Was wäre, wenn das Dorf zur Avantgarde für selbstbestimmtes Leben würde?' statt. Mit der zunehmenden Individualisierung der Lebensstile haben sich neue und vielfältige Formen des Wohnens und Arbeitens, neue gemeinschaftlich orientierte Wohnformen und selbstbestimmte Formen des Wohnens im Alter herausgebildet. Damit entwickeln sich auch neue Ansprüche an die Qualitäten von Raum. Welche Chancen liegen in der Vielfalt der Lebensmodelle für die Entwicklung ländlich peripherer Räume? Welche Formen von Baukultur und kulturlandschaftlicher Entwicklung lassen sich erkennen; welche Wirkung haben sie auf den Raum und die soziale Entwicklung vor Ort? Wie finden die Akteure ihre Räume und wie können sie in ihrer Entwicklung unterstützt werden?
Fazit:
Der ländliche Raum ist ein Ort des individuellen Lebenskonstruktivismus (Stefan Rackwitz). Die Motive, auf das Land zu ziehen, sind vielfältig: das große Raumangebot, die Nähe zu Natur und Landschaft, die Möglichkeiten zur Subsistenzwirtschaft, Selbstverwirklichung- und bestimmung, die Suche nach Gemeinschaft auch im Alter oder die Verantwortung für Eigentum und Herkunft. Der ländliche Raum ist als Ort neuer flexibler Arbeitswelten mit der teilweisen Loslösung von herkömmlicher Erwerbsarbeit und deren Versprechen auf Sinnstiftung verbunden.
StadtLand Gespräch im Café von Schloss Bedheim. Von links: Dr. Marta Doehler-Behzadi, Thomas Penndorf, Florian Kirfel, Ulla Schauber, Günther Köhler, Kerstin Faber.
IBA Architektur vor Schloss Bedheim.
Teilnehmer des IBA StadtLand Gesprächs auf Schloss Bedheim in der mobilen Architektur, die von internationalen Studierenden während der IBA Summer School entwickelt wurde.
Sanierungsarbeiten auf Schloss Bedheim.
Illustration des Gesprächs von Rosa Linke und Stefan Kowalczyk
Man zieht nicht zur Arbeit aufs Land, sondern bringt sie mit. Dies bedeutet auch einen sozio-kulturellen und ökonomischen Mehrwert. Initiativen können individuell gebrauchen: mehr politische Wertschätzung, praxisbezogene Beratungsangebote, Aufklärung der Gemeinden und Banken, Bürokratieabbau/Förderangebote, Öffentlichkeitsarbeit, Bürgschaften. Gemeinden und Institutionen wie die Kirche können Brückenbauer sein – mental und faktisch beispielsweise durch Verpachtung von Land an Initiativen. Fehlende Infrastrukturen werden durch Zugezogene oft neu aufgebaut. Hochwertige Baukultur kann anziehend wirken. Trotz höherer Selbstverantwortung wird die Bindung an die Stadt kulturell und ökonomisch gebraucht. Mehr noch als Mobilität ist ein schnelles Internet Voraussetzung dafür. Leben auf dem Land bedeutet ein Leben im Stadtland.
- Teilnehmer des Gesprächs waren:
- Günther Köhler, Bürgermeister Stadt Römhild
- Florian Kirfel-Rühle, Architekt, Studio Gründer Kirfel, Schloss Bedheim (mittlerweile IBA Projekt)
- Thomas Penndorf, Gartenbauer und Imker, Lebensgut Cobstädt e.V., Cobstädt
- Ulla Schauber, Raum- und Umweltplanerin, Wohnstrategen e.V., Weimar
Das IBA STADTLAND Gespräch in Bedheim wurde durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.
Nominierung zum IBA Kandidat
IBA Kandidat wird, wer gute Ideen und Konzepte für das StadtLand vorweisen kann. In einem anschließenden Qualifizierungsprozess mit Workshops, Studien, Wettbewerben und ersten Planungen reifen diese Ideen zu Projekten, an die ein hoher Maßstab angelegt wird. IBA Projekte sollen für die Entwicklung Thüringens und darüber hinaus Referenz und Vorbild sein. Der IBA Fachbeirat hat am 30. September 2014 empfohlen, Studio Gründer Kirfel zum IBA Kandidaten zu ernennen.
Momentan keine Termine
- Bauhaus Universität Weimar, Lehrstuhl für Denkmalpflege und Baugeschichte
- Förderverein Schloss Bedheim
- Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft: Modellprojekt der Regionalentwicklung - Daseinsvorsorge im Demografischen Wandel
- Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH
- Bauleitung und Bauausführung:
- Philipp Bader (Zimmerer und Msc. Architektur),
- Albert Liebermann (Buchbinder)
- Bauausführung:
- Astrid Rühle (Vorsitzende des Fördervereins),
- Mario Schmidt (Hausmeister),
- Okubay Kidane (Praktikant),
- Martin Bachmeier (Metallbauer),
- Michael Schreiber (Vereinsmitglied),
- Gudrun Klöckner (Zimmerin),
- Manou Knepper (Zimmerer),
- Stefan Feger (Zimmerer),
- Jakob Rößner (Gärtner),
- Jakob Fricke (Helfer),
- Lukas Kiefer (Helfer),
- Markus Noll (Mitglied Förderverein),
- Claudia Zauke (Dachdeckermeisterin),
- Karl Otto Krebs (Mitglied Förderverein),
- Karl-Friedrich Gründer (Lehrer),
- Simon von Hackewitz (Abiturient)
- und das gesamte Studio Gründer Kirfel
- Teilnehmende des internationalen Workcamps
- Studierende der Bauhaus-Universität Weimar im Rahmen der Bauwerkstätten 2017 und 2018