Krobitz, Feuerorgel Kapelle
Kunstkapelle mit ›organ‹
Viele Jahrzehnte lang war die 950 Jahre alte romanische Kapelle St. Anna in Krobitz bei Weira verschlossen. Nur noch einmal im Jahr, zu Himmelfahrt, fand ein Gottesdienst im Freien statt. Im Jahr 1074 erstmalig erwähnt, zuletzt in den 1950er-Jahren genutzt, war das Gebäude fast vergessen. Dabei ist das Denkmal ein historischer Schatz im Saale-Orla-Kreis. Im Zuge des Ideenaufrufs der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der IBA Thüringen 2016 trafen sich mutige und engagierte Nachbar:innen und der Künstler Carsten Nicolai, die gemeinsam mit der Kirchgemeinde und der Gemeinde Weira die Zukunft der Kapelle in ihre Hände nahmen.

Carsten Nicolai suchte gemeinsam mit dem Projektteam des Ideenaufrufs StadtLand:Kirche nach einem geeigneten Ort für eine Kunstinstallation. Welche Kirche eignete sich besonders für seine Vision?

Die Kapelle St. Anna in Krobitz mit ihrem kleinen Langschiff inspirierte ihn besonders stark. Eigens für sie entwarf er unter anderem mit Fördermitteln der Kulturstiftung des Bundes eine ungewöhnliche Orgel.

Nicolais skulpturale Arbeit ›organ‹ — englisch für Orgel — ist ein Kunstwerk und ein Musikinstrument gleichermaßen, das von sogenannten Flammenorgeln aus dem späten 18. Jahrhundert inspiriert ist.

Im Gegensatz zur klassischen Orgel werden die Töne hier von Gasflammen erzeugt, die in 25 zweireihig angeordneten Glaszylindern den Luftstrom zum Schwingen bringen. Gebaut wurden die Röhren vom Medienkünstler Frank Fietzek und vom Produzenten zeitgenössischer Kunst Rob Feigel, beide aus Berlin.
Die Formen der unterschiedlich langen Resonanzröhren orientieren sich an Pfeifenorgeln. Das Besondere: Die Klangerzeugung ist dank der Flammen sichtbar. Das Entzünden signalisiert den Beginn des eigens für die Feuerorgel komponierten, zwölfminütigen Stücks von Carsten Nicolai. Jede der einzelnen Flammen unter den Glaszylindern muss manuell entfacht werden. Ihre Hitze strömt dann in die gläsernen Röhren, die unterschiedliche Töne erzeugen. Die Krobitzer Feuerorgel ist also gleichsam Musikinstrument, Licht- und Wärmespenderin.
Bevor das Kunstwerk aber eingerichtet werden konnte, erfolgten in der Kapelle denkmalgerecht minimalinvasive Baumaßnahmen. Neben der Instandsetzung mit neuem Stampflehmboden wurde eine umlaufende Eichenholzbank installiert. Die bauliche Maßnahme plante und betreute das Architekturbüro nitschke + kollegen aus Weimar. Um die Kirche und das Kunstwerk zu pflegen und zu unterhalten, die Feuerorgel in Gang zu setzen, sie bei Bedarf zu reparieren und Besucher:innen über das Projekt zu informieren, gründete sich ein Freundeskreis aus Anwohner:innen sowie Mitgliedern der evangelischen Kirchgemeinde Krobitz / Weira. Ohne sie bliebe die Kapelle geschlossen, denn solche Orte brauchen engagierte Menschen, die bereit sind, sich ehrenamtlich zu kümmern. Sie öffnen die Kapelle von Ostern bis Herbst für Neugierige.

Mindestens einmal im Jahr gibt es ein Konzert mit regionalen und internationalen Musiker:innen, die mit dem Kunstwerk ›organ‹ korrespondieren.

Oft werden die Konzerte von einem gemeinsamen Essen an festlich gedeckter Tafel begleitet, unterstützt von den Landfrauen, einem Verband von und für Frauen im ländlichen Raum, der Gemeinde Weira. Foto: Henry Sowinski
Die Feuerorgel Kapelle Krobitz ist das erste realisierte Projekt im Rahmen des offenen Ideenaufrufs 2017 ›StadtLand:Kirche‹ und zeigt vorbildlich, wie eine kreative Co-Nutzung von Kirchenräumen das Gemeindeleben inspirieren und beflügeln kann: Mit dem Einbau hat die Kapelle eine zusätzliche Nutzung als Kunstraum erhalten und konnte seit ihrer Wiedereröffnung bereits eine große Besucherzahl in der von der Gemeinde und Kirchgemeinde betreuten Kapelle begrüßen.
Feuerorgel Kapelle Krobitz im IBA Finale 2023
Die erste Etappe der finalen IBA Tour führte den Fachbeirat und das Team der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen am 22. Februar 2023 nach Krobitz bei Weira im Saale-Orla-Kreis. Dort überreichte die IBA Geschäftsführerin Marta Doehler-Behzadi den Projektträger:innen des IBA Projekts Feuerorgel Kapelle Krobitz die Urkunde zur Aufnahme in die IBA Abschlusspräsentation. Dieser symbolische Akt ist die finale Auszeichnung, welche ein Projekt im Rahmen der IBA Thüringen erreichen kann.
6. Saison mit Konzert zum Tag des offenen Denkmals
Zum Tag des offenen Denkmals kamen am 11. September 2022 rund 250 Besucher:innen zur Kunstkapelle St. Anna nach Krobitz und hatten die Gelegenheit, das Stück ›Luft‹ des finnischen Komponisten Peter Lång an der Feuerorgel zu erleben. Begleitet wurde er durch die Sänger:innen Lisa Fornhammar und Madeleine Wulff und am Cello und mit Gesang durch Sophia Günst.
5. Saison mit Dresdner Musiker:innen
Mit der Klanginstallation und skulpturalen Arbeit ›organ‹ wurde die lange Zeit ungenutzte St. Annen-Kapelle 2017 um eine zusätzliche Nutzung als Kunstraum ergänzt und konnte seither tausende Besucher:innen nach Krobitz locken. Der Name des Kunstwerks von Carsten Nicolai ist dabei gleich in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Einerseits ist ›organ‹ eine moderne Interpretation der Feierorgeln des 18. Jahrhunderts, andererseits spielt Nicolai auf die Bedeutung der Orgel als kirchliches Instrument an. Indem ›organ‹ jedoch anders als in der sakralen Tradition üblich seinen Platz im Zentrum der Kirche einnimmt, wird es zum Herzstück und damit zum Organ, das die Kirche buchstäblich mit neuem Leben erfüllt.
Anlässlich des Tags des offenen Denkmals 2021 veranstaltete die Neuen Dresdner Kammermusik ein Konzert in Krobitz, bei dem zum ersten Mal die Feuerorgel als gleichberechtigtes Musikinstrument bei der kammermusikalischen Aufführung von Werken zeitgenössischer, improvisierter Musik genutzt wurde. Mit Erlaubnis des Künstlers Carsten Nicolai sowie in Absprache mit den Orgelbauern wurde die manuelle Bedienung des Instruments vorbereitet. In insgesamt vier unterschiedlichen Stücken konnten die Besucher:innen am 12. September 2021 den Interpretationen der Neuen Dresdner Kammermusik lauschen.
4. Saison mit Besuch des Ministerpräsidenten
Am letzten Tag seiner Thüringen-Tour 2020 besuchte Ministerpräsident Bodo Ramelow die St. Annen-Kapelle in Krobitz. Unter dem Motto ›Land & Leute‹ ging der Ministerpräsident Ramelow vom 20. bis 30. Juli 2020 auf Reisen quer durch ganz Thüringen, wo er rund 30 Ziele in allen Landkreisen des Freistaats besuchte. »Mit viel Kreativität, Fleiß und Erfolg treiben die Menschen im ländlichen Raum Thüringens ihre Projekte voran und zeigen an vielen Stellen, wie lebenswert das Land auch abseits der städtischen Zentren ist«, sagte er in Hinblick auf das Programm der Thüringen-Tour.
3. Saison für Feuerorgel Kapelle Krobitz
2019 öffnete die Feuerorgel Kapelle Krobitz in ihrer dritten Saison die Türen für interessierte Besucher:innen. Seit ihrer feierlichen Eröffnung 2017 haben bis dahin etwa 2.600 Gäste aus aller Welt die Orgel besucht.
2. Saison mit musikalischer Intervention der Künstlerin Pina Rücker
Die fast 1.000 Jahre alte Kapelle St. Anna in Krobitz bei Weira öffnete 2018 von April bis September an jedem ersten Sonntag im Monat ihre Türen. Höhepunkt der zweiten Saison war eine zeitgenössische musikalische Intervention der Leipziger Künstlerin Pina Rücker am 8. September.
1. Saison mit Improvisationskonzert mit Matthias von Hintzenstern
Als erster Musiker reagierte Matthias von Hintzenstern im Sommer 2017 in einer freien Improvisation mit Violoncello und Obertongesang auf die Licht- und Klanginstallation ›organ‹ von Carsten Nicolai. Rund 30 Besucher:innen fanden sich zu diesem besonderen Klangereignis in der kleinen romanischen Kapelle ein, sodass alle Plätze auf der neuen umlaufenden Eichenbank gut besetzt waren. Bürgermeister Martin Jacob der Gemeinde Weira in der Verwaltungsgemeinschaft Oppurg und Projektleiterin Ulrike Rothe von der IBA Thüringen begrüßten die Gäste, Matthias von Hintzenstern führte in die musikalische Improvisationskunst ein. Bei Wein, Brot und Kräuterbutter sowie Speckfett, die dank Heike Henke vom Gemeindekirchenrat Weira und Familie David aus Krobitz auf dem langen Tisch standen, wurden nach dem Konzert erste Ideen für Veranstaltungen für das Jahr 2018 entwickelt.
Feierliche Eröffnung der Feuerorgel Kapelle Krobitz
Vom 24. bis 25. Juni 2017 wurde die Feuerorgel Kapelle Krobitz mit dem Kunstwerk ›organ‹ von Carsten Nicolai feierlich in Krobitz bei Weira eröffnet. 200 interessierte Gäste kamen, um erstmals die nach Jahrzehnten wieder geöffnete, rund 1.000 Jahre alte romanische Kapelle mit der neuen Orgel und dem eigens dafür komponierten Musikstück zu erleben.
Der Tag der Eröffnung von ›organ‹ zeigte sich sommerlich und die zahlreichen Besucher aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg, aber auch Melbourne und den USA strömten gutgelaunt nach Krobitz. Mit dem Läuten der historischen Glocke in der Kapelle durch Klaus Meinhold vom Gemeindekirchenrat Weira begann am Samstagnachmittag das Fest. Der amtierende Superintendent Jörg Reichmann und die IBA Geschäftsführerin Dr. Marta Doehler-Behzadi begrüßten die Gäste. Heike Henke vom Gemeindekirchenrat und Bürgermeister Martin Jacob der Gemeinde Weira/Verwaltungsgemeinschaft Oppurg beantworteten schon am frühen Nachmittag die interessierten Fragen der Presse. Familie Scholz und Familie David aus Krobitz sicherten tatkräftig die Veranstaltung mit ab. Im Anschluss konnten die Besucher:innen die raumfüllende Klang- und Lichtkomposition auf den 25 Glaspfeifen der gasbetriebenen Orgel im behutsam erneuerten Kapellenraum hören, sehen und erleben.
Im Gespräch zwischen dem weltweit bekannten und renommierten Künstler Carsten Nicolai und Ulrike Rothe von der IBA Thüringen erfuhr man, warum dieser besondere Ort und die alte Kapelle für das Kunstwerk ›organ‹ ausgewählt wurden, wie die Idee einer gasbetriebenen Orgel und die Komposition entstand, wie ein gemeinsamer Prozess zwischen dem Künstler und Vertreter:innen der Kirchengemeinde und Gemeinde Weira/Krobitz sowie der EKM und IBA Thüringen sich entwickelte und welche Perspektiven mit der Öffnung der Kapelle möglich sind.
Mit dem Gesamtkunstwerk und den baulichen Eingriffen wie dem Auftragen eines Stampflehmbodens und dem Anbringen einer umlaufenden Eichenholzbank in der Kapelle ist im Sinne des IBA Themas LeerGut ein besonderer Ort mit großer Ausstrahlung in einer landschaftlich geprägten Region Thüringens entstanden. Die Kapelle wird zu einem öffentlichen Raum, wo man Andacht halten und sich besinnen oder aus der heute oft schnelllebigen Zeit treten kann, aber auch Baukultur und Klangkunst im Zusammenspiel von Raum und Licht auf ganz neue Weise erfährt.
Elke Bergt von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland dankte am Ende des Gesprächs allen, die am Vorhaben mitgewirkt und dieses unterstützt sowie gefördert haben. Dazu zählen der Künstler Carsten Nicolai mit seinem Team von yamaguchi-ufficio d’arte und WERKSTATT 4, die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Weira/Krobitz mit dem amtierenden Superintendent und Pfarrer, die politische Gemeinde Weira, die Kulturstiftung des Bundes, das Regionalmanagment LEADER des Saale-Oral-Kreises mit dem Amt für Landesentwicklung und Flurneuordnung Gera, das Architekturbüro nitschke+kollegen, die Tischlerei Herden und der Stampflehmbauer Hoppert Handwerk & Design sowie der Restorator Olaf Lindner, das Büro für Szenografie chezweitz und das Team der IBA Thüringen sowie der EKM.
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- Kulturstiftung des Bundes
- LEADER, Europäische Union, Freistaat Thüringen, LEADER Aktionsgruppe Saale-Orla e.V.
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- Internationale Bauausstellung Thüringen
- Carsten Nicolai, Berlin
- WERKSTATT 4, Berlin
- yamaguchi - ufficio d'arte, Berlin
- Tischlerei Herden - Holzarbeiten, Weira
- handwerk & design Hoppert - Stampflehmboden, Oppurg
- Matthias von Hintzenstern
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- Neue Dresdner Kammermusik
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