Umdenken, Umbauen, Weiterbauen!
Drei Thesen zum Wohnraum in Thüringen
Der Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VTW) kritisiert die Vorschläge des Freistaates zur Wohnungsbauförderung in Thüringen. Diese zielten an den konkreten Rahmenbedingungen der Wohnungswirtschaft vorbei. Die ins Auge gefasste Förderung sei zu starr. Bestand, Leerstand, räumliche Disparitäten würden kaum berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund beteiligt sich die Geschäftsführerin der IBA Thüringen, Dr. Marta Doehler-Behzadi, mit drei Thesen an der Diskussion um den Wohnraum in Thüringen. Die Thesen wurden vom 6. IBA Salon am 12. Mai 2016 angeregt. Dort präsentierte Jerilyn Perine aus New York City mit ihrem Projekt ‘Making Room’ einen höchst innovativen Ansatz zur Veränderung des Wohnungsangebots und der Geschäftsführer der KoWo Erfurt, Friedrich Hermann, stellte einen konkreten Ansatz für ein IBA Projekt vor, um zu neuen bezahlbaren Wohnqualitäten zu gelangen.
1. Umdenken, Umbauen, Weiterbauen!
Die Flüchtlingsfrage hat seit dem vorigen Jahr deutschlandweit die Wohnungsfrage befeuert (obwohl die ja schon längst da war). Und die Wohnungsfrage von heute wird – sehr berechtigt – als Gerechtigkeitsfrage aufgerufen: Es geht um das bezahlbare Wohnen für Bedürftige, egal ob Flüchtling oder nicht. Jetzt, so scheint es, soll überall in Deutschland neu gebaut werden, so viel und so schnell und so billig wie möglich: neu bauen, neu bauen, neu bauen! Ich behaupte, in Thüringen haben wir genügend Wohnungen. Wohnungsnot ist anderswo, schauen Sie nach New York, London oder München. Wir brauchen keinen billigen, schematischen Massenwohnungsneubau, der Flächen und Ressourcen frisst und fast immer teurer kommt als der Umbau des Bestands. Das ist altes Denken. In Thüringen heißt der erste Ratschlag noch immer: Umdenken, umbauen, weiterbauen!
2. Erfinden, Experimentieren, Entwerfen!
In Thüringen haben wir gewiss hier und da Wohnungsstress. Und Stress in Maßen soll bekanntlich ganz heilsam und inspirierend sein. Hier verzeichnen wir die komfortable Situation von Wohnungsüberhängen und Leerständen und damit die Chance, einen intelligenten und innovativen – passgenauen – Wohnungsbau zu kreieren, der einer immer größer werdenden Vielfalt von Lebenssituationen und Ansprüchen gerecht werden kann. Schauen Sie auf die Geschichte des Bauhauses, die eng mit einer großartigen Tradition des sozial verantwortlichen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnens verbunden war. Dazu braucht Thüringen ein Bündnis von innovativer Architektenschaft und einer Bauherrenschaft, die sich was traut. Die Devise heißt hier also zunächst mal: erfinden, experimentieren, entwerfen. Und dann bauen.
3. Loslegen - nicht nur in den Zentren!
Wenn wir im STADTLAND Thüringen mit vielen kleineren Gemeinden und größeren Städten gescheit sind, versuchen wir das nicht nur in Erfurt, wo sich die KOWO bereits an diese Aufgabe herangewagt hat, sondern auch in Gera, Nordhausen und Bedheim, wo sich drei weitere IBA Kandidaten mit unterschiedlichen Vorzeichen an städtebauliche und Wohninnovationen wagen. Weiter gedacht: Wenn die Geras, Nordhausens und Bedheims von Thüringen gescheit sind, beginnen sie den neuen experimentellen, in seinen Quantitäten genau dosierten Wohnungs-Um-und-Neu-Bau jetzt. Es könnte sich lohnen, die anstrengenden Demografie- und Schrumpfungsdebatten, in denen die Wohnungsleerstände immer wieder nachgezählt und staatliche Unterstützung für ihre Beseitigung eingefordert werden, einfach mal umzukehren.